Musik

Lous & The Yakuza

Lous ist wie ein Chamäleon –an manchen Tagen setzt sie sich eine Afro-Perücke auf, dann überrascht sie plötzlich mit Metallic-blauen Haaren. Hat man Lous einmal live erlebt, vergisst man sie so schnell nichtwieder. Ihre Intensität, ihre Persönlichkeit und ihre jugendliche Vitalität verfehlen ihre Wirkung nicht. Lous weiß ganz genau, wie man einen bleibenden Eindruck hinterlässt. Der Klang ihrer Stimme, die Tiefe ihres Blickes und die Strahlkraft ihrer Energie. Die Songs der 23-Jährigen sind kompromisslos. Nuanciert. Bewegend. Und sie hat sich in den Kopf gesetzt, ihren Lebenstraum zu erfüllen und eine Legende zu werden. Im Herbst 2020 legt sie mit „Gore“ ihr Debütalbum vor.

Um ein Gefühl für Lous’ Geschichte zu bekommen, muss man zunächst einmal verstehen, wer sie ist. Marie-Pierra, so ihr wirklicher Name, wurde 1996 als drittes von vier Geschwistern in der Volksrepublik Kongo geboren. Ihre Eltern, beide Ärzte, haben sich die Verbesserung der Lebensumstände in ihrem Heimatland auf die Fahnen geschrieben. Mit fünf zieht sie mit ihrer Mutter und ihrer kleinen Schwester nach Belgien, um dort politische Exil zu beantragen. Sie verbleiben dort bis 2005, dann beschließen ihre Eltern, sich gemeinsam in Ruanda niederzulassen. Für Marie-Perria ist das Leben in dem ostafrikanischen Land ein Schock. Sie wird mit der bitteren Armut konfrontiert, die in weiten Teilen Afrikas herrscht und hört die Geschichten über den Völkermord, der sich Mitte der Neunziger Jahre in Ruanda ereignete. Trost und Zuflucht findet sie in der Bildung, in der Schule, der Musik, der Oper und im Schreiben. Zahlreiche Bücher füllt sie mit ihren eigenen Geschichten, bis sie ihre Eltern im Alter von fünfzehn bittet, nach Europa zurückkehren zu dürfen. Als diese schließlich einwilligen, wählt sie Namur in Belgien zu ihrem neuen Zuhause. Zusammen mit ihrer kleinen Schwester besucht sie unter der Woche ein Internat und genießt an den Wochenenden ihre neue Freiheit und Selbstständigkeit. Nach dem Abschluss des Abiturs entschließt sich Marie-Pierra, sehr zum Entsetzen ihrer Eltern, ein Philosophie-Studium anzutreten. Eine Wahl, deren Konsequenzen und Durchführung sie nun ganz alleine zu tragen hat.

Doch Marie-Pierra bleibt hartnäckig. Ausgestattet mit einer beeindruckenden Arbeitsmoral bringt sie sich Musiktheorie bei, wie man Texte schreibt und Songs aufnimmt. Was ihr an angeborenem Talent fehlt, macht sie mit Übung, Fleiß und harter Arbeit wett –und wird im Laufe der Zeit immer mehr zu Lous. Mit neunzehn verlässt sie Namur, um nach Louvain la Neuvezu ziehen und von dort schließlich weiter nach Brüssel. In der belgischen Hauptstadt erlebt sie schlimme Dinge: sie wird überfallen und aus ihrem eigenen Haus geworfen. Monatelang lebt sie auf der Straße, weil sie es nicht übers Herz bringt, ihre Familie oder engste Freunde über ihre Notlage in Kenntnis zu setzen und um Hilfe zu bitten. In dieser Zeit ist sie auf die Großzügigkeit der Straße angewiesen – eine Großzügigkeit, die sie bis heute zu schätzen weiß. Schließlich kommen ihre wahren Freunde zu Hilfe und beenden die missliche Lage. Und das Leben nimmt -zunächst -eine Wendung zum Friedlichen und Guten.

Lous verfolgt weiter ihre großen Pläne und lässt sich auch von weiteren Schicksalsschlägen nicht beirren: nach einem weiteren Angriff findet sie sich abermals auf der Straße wieder. Geschwächt von einer Krankheit ergattert sie einen Schlafplatz in einem Tonstudio –und fängt an, ihre Songs aufzunehmen. Ihr Leben ist geprägt von vielen Jobs, Krankenhaus besuchen und körperlichen Problemen, doch der Kampfgeist in ihr ist stärker denn je. Lous produziert und nimmt alles auf, was ihr Herz und ihre Lungen hergeben. Innerhalb von drei Jahren nimmt sie sieben EPs und 52 Songs auf und singt auf hunderten von Bühnen in ganz Belgien. Sie gönnt sich keine Pause. Und das zahlt sich schließlich aus: irgendwann stößt Miguel Fernandez, ihr heutiger Verleger, online auf sie und nimmt sie unter Vertrag. Endlich hat Lous den nötigen Freiraum, um sich voll und ganz ihrem Lebenstraum zu widmen: zu singen!

Lous ist schwarz und stolz darauf, sich selbst so zu beschreiben. Eine Hautfarbe, die gleichzeitig Last und Segen ist. Mittlerweile ist sie 23 Jahre alt und hat ein Album fertiggestellt, dessen Titel „Gore“ ihr Leben widerspiegelt. Traurig. Und dennoch festentschlossen, der Gegenwart mit einem Lächeln zu begegnen. Die Jahre unentwegten Arbeitens fügen sich zu einem Debüt, auf dem Lous um ihr Leben singt, mit der Anmut ihrer inneren Energie und ihres filigranen Witzes. Die Musik kommt aus ihrer Seele. Ihre Stimme ist der Ausdruck ihres verwundeten Herzens. Und Liebe. Ihre tiefe, allumfassende, reine Liebe für andere, von der es nie genug geben kann. Jeden Tag nimmt sie sich vor, ihr Bestes zu geben, für sich selbst und für andere. Lous tritt ins Licht und es gibt nichts und niemanden, der sie noch aufhalten kann.

Lous liebt Folklore, Tanz und den Ausdruck des menschlichen Körpers. Ihre Single „Dilemme“ beschreibt das Leben und seine Nuancen. Liebe in unmittelbarer Nachbarschaft zu Hass. Freude, die ganz leicht in Leid umschlagen kann. Ihre Musik ist elegant und atmet den Geist der Straße. Sanft und aggressiv, zwischen Gewalt und Frieden, offenbart Lous ihr offenes Herz und singt von den Feinheiten unserer Gefühle.