Landkreis Grafschaft Bentheim

„Den Krisenmodus als Chance nutzen“

„Den Krisenmodus als Chance nutzen“ – Krankenhausreform: Reger Austausch mit Sozialminister Philippi bei Beirats-Visite der Gesundheitsregion EUREGIO in Bad Bentheim

Noch gut erinnert sich der Grafschafter Landrat Uwe Fietzek an die Zeit um 1999/2000, als die Fusion der beiden Nordhorner Krankenhäuser – Grafschafter Klinikum und Marienkrankenhaus – auf den Weg gebracht wurde. „Ein kommunales und ein katholisches Haus: zwei Welten trafen aufeinander“, beschreibt Fietzek den Prozess, der nicht nur in organisatorischer Hinsicht ein Kraftakt war, sondern auch mit großen Emotionen einherging. Letztlich hätten der fortwährende Dialog und gegenseitige Zugeständnisse zum Erfolg geführt. Mit der Entstehung der heutigen Euregio-Klinik wurden in der Grafschaft die Weichen gestellt für eine zukunftsfähige Versorgung. Im Wohnquartier St. Marien des ehemaligen Marienkrankenhauses wurde zudem ein sektorenübergreifendes Leistungsangebot im Sinne des „Regionalen Pflegekompetenzzentrums“ geschaffen.

Von diesen Vorgängen berichtete Fietzek jüngst während einer „Beirats-Visite“ der Gesundheitsregion EUREGIO, bei welcher die aktuelle Krankenhausreform von Bund und Ländern thematisch im Mittelpunkt stand – denn auch über die Grenzen der Grafschaft hinaus steht die Kliniklandschaft vor umfassenden Veränderungen. Bei der Zusammenkunft des neunköpfigen Beirats – erstmalig unter Teilnahme der neu berufenen Beiratsmitglieder Bärbel Rosensträter (Erste Kreisrätin, Landkreis Osnabrück), Frans Blok (Geschäftsführer, Klinikum Osnabrück) und Jan den Boon (Vorstandsvorsitzender Medisch Spectrum Twente, Enschede) – auf der Burg Bentheim unter Beteiligung zahlreicher namhafter Mitglieder, vor allem aus dem Gesundheitswesen der deutsch-niederländischen Grenzregion, kam es zum lebhaften Austausch über die geplanten Maßnahmen, die unter anderem eine Einteilung der bestehenden Kliniken in verschiedene Level vorsehen – vom Grund- bis zum Maximalversorger. Damit einher geht eine Zuordnung sogenannter Leistungsgruppen. Das Niedersächsische Krankenhausgesetz (NKHG), das als eines der modernsten in ganz Deutschland gilt und den Grundstein für die Reform auf Landesebene bildet, ist am 1. Januar 2023 in Kraft getreten.

Als Vorsitzender des Beirates der Gesundheitsregion EURGIO war auch der niedersächsische Sozialminister Dr. Andreas Philippi zugegen, der für die Umsetzung der Reform in Niedersachsen an vorderster Front agiert. „Wir sind im Krisenmodus auf verschiedenen Ebenen – und viele Player haben das erkannt“, erklärte Philippi, unter anderem angesichts des Fachkräftemangels bei steigendem Versorgungsbedarf. „Im Krisenmodus liegt aber auch die Chance, gemeinsam an Lösungen zu arbeiten.“ Für die Infrastruktur der niedersächsischen Krankenhäuser habe die Landesregierung bereits drei Milliarden Euro auf den Weg gebracht.

Hintergrund der Reform ist auch das Anliegen, Kompetenzen klar zuzuteilen – getreu dem Leitgedanken: Nicht jedes Krankenhaus muss sämtliche Angebote vorhalten. Die Umstrukturierung hat auch Auswirkungen auf die Notfallversorgung: „Nicht der schnellste Weg ins nächste Krankenhaus muss entscheidend sein, sondern der richtige Weg ins richtige Krankenhaus“, brachte es Minister Philippi, der selbst Mediziner ist, auf den Punkt. So soll auch erreicht werden, dass Kliniken sich weniger häufig für Notfälle „abmelden“.

Mehrere Best-Practice-Beispiele illustrierten während des Treffens, wie eine nachhaltige Standortsicherung gelingen kann. So berichtete etwa Werner Lullmann, Geschäftsführer der Niels-Stensen-Kliniken, von der Umwandlung des Marienhospitals in Ankum zum ersten „Regionalen Gesundheitszentrum“ (RGZ; entspricht einer Level-1-Klinik) in Niedersachsen. Das frühere Krankenhaus kommt seit dem 1. April 2023 als neuartige Einrichtung daher, die Belegkrankenhaus und ambulante fachärztliche Versorgung mit neugeschaffenen Pflegeangeboten kombiniert. „Es braucht eine intensive Diskussion um die Zukunft der Gesundheitsversorgung“, betonte Lullmann. „Die Menschen haben Angst, dass ihnen etwas weggenommen wird.“ Auch im Fall von Ankum sei der Dialog deshalb wichtig gewesen – sowohl mit Blick auf die Bevölkerung als auch auf die Mitarbeiterschaft.

Dass die Gesundheitsversorgung in der Grenzregion nicht nur als 180-Grad-, sondern als 360-Grad-Zirkel gedacht werden sollte, hob Beiratsmitglied Prof. Dr. Alex Friedrich hervor, Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender des Universitätsklinikums Münster (UKM). Im Speziellen ging er auf das „Memorandum of Understanding“ ein, die Zusammenarbeit mit dem Medisch Spectrum Twente (MST) im niederländischen Enschede. Die gemeinsamen Aktivitäten umfassen die Felder Gesundheitsversorgung und Prävention, Forschung sowie Ausbildung.

Wie angespannt die derzeitige Lage auch in der Pflege ist, betonte Vera Lux, Geschäftsführung Pflege der Medizinischen Hochschule Hannover und Vorsitzende des Niedersächsischen Pflegerats, die stellvertretend für Christine Vogler als Präsidentin des Deutschen Pflegerats und Beiratsmitglied teilnahm. „Die Leute sind körperlich und mental fertig“, brachte sie die Situation auf den Punkt. Zudem sehe sich die Pflege nicht adäquat in Reformen eingebunden. Sie plädiert dafür, genauer auf Qualifikationen zu schauen und Pflegekräfte entsprechend ihrer Ausbildung sinnvoll einzusetzen. Auch müsse erreicht werden, dass Menschen durch Prävention möglichst spät in eine Versorgungssituation kommen.

Als Bürgermeister der Grenzregion schilderten EUREGIO-Präsident und Beiratsmitglied Rob Welten (Haaksbergen) und Dr. Volker Pannen (Bad Bentheim) ihre Eindrücke. Pannen gab dem Minister mit auf den Weg, sich für eine Stärkung der „Krisenresilienz“ einzusetzen, um beispielsweise gegen großflächige Stromausfälle gewappnet zu sein. Zuvor hatten seitens der Gesundheitsregion EUREGIO Thomas Nerlinger (Geschäftsführer sowie Organisator der Veranstaltung) und Dr. Arno Schumacher (Vorsitzender) die mehr als 50 Mitglieder des Vereins und Beirats willkommen geheißen. Schumacher betonte, die Gesundheitsregion als Verein mit mehr 180 Mitgliedern – darunter 14 Kliniken und Klinikverbünde, Gesundheitseinrichtungen und rund 40 Ärztinnen und Ärzte – könne durch die langjährigen Erfahrungen aus Projekten, Kooperationen und Vernetzungen hinsichtlich Reformen gut beratend zur Seite stehen.

Wenngleich die Versorgung der Menschen im Vordergrund steht, spielen natürlich auch finanzielle Fragen eine entscheidende Rolle. So erfolgte auch die Klinikfusion in Nordhorn seinerzeit letztlich auf Druck der Krankenkassen als Kostenträger – initiiert durch die damalige BKK DER PARTNER (früher NINO BKK, jetzt pronova BKK). Mit viel Geduld und trotz zwischenzeitlichem Stillstand konnte das Projekt letztlich gemeistert werden, im Jahr 2014 wurden erstmals schwarze Zahlen geschrieben. „Die Fusion war die einzige Antwort auf die Situation in der Grafschaft“, meint Landrat Fietzek rückblickend. „Und es wurden vor Ort die nötigen Voraussetzungen für die Strukturreform geschaffen.“

„Mit der heutigen Beirats-Visite haben wir an einem historischen Ort einen wichtigen Grundstein für die anstehende Krankenhaus-Regionalkonferenz für die Versorgungsregion acht (Stadt und Landkreis Osnabrück, Emsland, Grafschaft Bentheim) gelegt. Ich bin den interessierten Mitgliedern aus Beirat und Verein sowie den Gästen sehr dankbar für die Teilnahme und Unterstützung. Die Krankenhausreform wird uns noch eine lange Zeit beschäftigen. In enger Abstimmung mit dem Beiratsvorsitzenden Minister Dr. Philippi werden wir ausloten, welchen Beitrag wir als Gesundheitsregion EUREGIO dabei leisten können“, so Nerlinger.

Text: Sebastian Hamel

Fotos: Franz Frieling